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GP: Geschichte der Physik
GP 7: Moderne Physik
GP 7.4: Vortrag
Donnerstag, 20. März 2003, 16:20–16:50, 1003
Der Mythos von der Entwicklung und Durchsetzung der Kopenhagener Deutung der Quantentheorie als Machtkampf und Propagandafeldzug — •Werner Eisner — Hannover
Es geht um die Behauptung, der Sieg der Kopenhagener Interpretation sei Resultat eines wissenschaftsfeindlichen rhetorischen Propagandafeldzuges durch die Bohr-Gruppe gewesen - und in keiner Weise sachlich gerechtfertigt. Kreiert wird hier der Mythos einer „Sieger-Geschichte“, die angeblich plausible Alternativ-Ansätze (wie die Broglie-Bohmsche Theorie der Führungswellen) zum Verschwinden gebracht hätte. Der Vortrag zielt darauf ab, den in der aktuellen Diskussion präsenten Ansatz von Beller und Cushing einer genauen Kritik zu unterziehen. Dabei wird es auch notwendig sein, auf sachliche Differenzen zwischen der Führungswellentheorie und der Kopenhagener Deutung in ihren verschiedenen Entwicklungsphasen einzugehen. Aus der Kritik soll eine alternative Deutung auf der Grundlage detaillierter eigener Quellenstudien entwickelt werden, die die Verbindung von Forschungsorganisation zur Erkenntnisproduktion thematisiert. Kernpunkt dieser Deutung ist die These, dass sich im Rahmen der Tätigkeit philosophierender Krisenwisssenschaftler eine neuartige soziale Form der Forschungsorganisation herausgebildet hat, ein relativ autonomes informelles Netzwerk, in dem argumentativ, ohne wesentlichen politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Druck auf die Diskussions- und Entscheidungsprozesse die physikalischen Erkenntnisse weitergetrieben wurden. Etwas vereinfacht könnte man sagen, hier wurde ein sozialer und forschungsorganisatorischer Nährboden geschaffen, aus dem die Quantentheorie erwachsen konnte. Der Erkenntnisprozess im Rahmen dieses Netzwerks lässt spezifische Eigenheiten erkennen: eine nicht-ausgrenzende informelle Prozessöffentlichkeit auf der Basis horizontaler Kooperationsstrukturen, Zurückdrängung und Instrumentalisierung von Macht- und Herrschaftsansprüchen und von bürokratischen Strukturen, ein hohes Mass an Internationalität auch in politisch schwierigen Zeiten, schliesslich auch Elemente einer solidarischen Kultur.