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GP: Fachverband Geschichte der Physik
GP 5: Handwerkergelehrte und Instrumentenmacher
GP 5.1: Hauptvortrag
Dienstag, 27. März 2007, 09:00–09:45, H35
Handwerksgelehrte — •Otto Sibum — Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin
Dass die Hände des Menschen im Zivilisationsprozess eine zentrale Rolle spielen ist unbestritten, doch welchen konkreten Beitrag sie im physikalischen Erkenntnisprozess leisten ist mindestens seit der Einführung des Experiments umstritten und in seinen historischen und epistemologischen Dimensionen immer noch unzureichend untersucht worden. Die Behauptung dass das Experiment überhaupt einen Beitrag zur Naturerekenntnis leisten könne bot den Engländern des 17. Jahrhunderts noch ausreichend Stoff für eine in London mit grossem Erfolg aufgeführte Theaterkomödie. Im 18. Jahrhundert konzidierten deutsche Gelehrte, dass das Experiment zwar empirische Beweise für schriftlich überliefertes Naturwissen liefern könne, doch solle man nicht annehmen, dass sich durch das Experimentieren „neue physikalische Wahrheiten“ generieren ließen. Zudem liess sich aus der Sicht der traditionellen Gelehrten diese mit Kopf und Hand arbeitende Spezies nur schwer in bestehende Wissenstraditionen integrieren. Erst im 19. Jahrhundert erlebten diese, mancherorts auch abwertend als Handwerksgelehrte bezeichneten Experimentalisten universelle akademische Anerkennung als Erfahrungswissenschafter, einen Prozess, welchen Zeitgenossen als „die Überwindung der unsinnlichen Wissenschaft, die Erlösung der Sinne, die große wissenschaftliche Tat unseres Jahrhunderts“ bezeichneten. Doch bereits im Zuge der allgemeinen Etablierung dieser Erfahrungswissenschaft in Forschung und Lehre bricht der Dissenz über den epistemologischen Status der geschickten Hand im physikalischen Erkenntnisprozess wieder auf, dessen Auswirkungen bis in die heutige Tage zu verfolgen sind. In diesem Vortrag werden wichtige Stationen dieses Entwicklungsprozesses anhand von Fallstudien zur physikalischen Forschungspraxis näher erläutert.