Regensburg 2007 – wissenschaftliches Programm
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GP: Fachverband Geschichte der Physik
GP 5: Handwerkergelehrte und Instrumentenmacher
GP 5.2: Vortrag
Dienstag, 27. März 2007, 09:45–10:10, H35
Die Waage -- das wichtigste Hilfsinstrument der physikalisch/chemischen Forschung — •Erich Robens1 und Susanne Kiefer2 — 1Institut für Anorganische Chemie und Analytische Chemie der Johannes Gutenberg-Universität, Duesbergweg 10-14, 55099 Mainz — 2Philipp-Matthäus-Hahn Museum, Albert-Sauter-Str. 15, 72461 Albstadt-Onstmettingen, Kasten
Abgesehen von Maßstäben und Messbechern sind Waagen die wichtigsten Messinstrumente in Handel, Haushalt, Industrie und in Laboratorien. Waagen sind komplexe Instrumente und das der Wägung zugrunde liegende physikalische Prinzip ist nicht einfach. Dennoch wurden Waagen überwiegend von Mechanikern entwickelt und gebaut. Ausnahmen sind Wissenschaftler wie Archimedes und Al Chazini, die spezielle, hochempfindliche Waagen entwickelten und benutzten, sicherlich nicht ohne Helfer. Bereits die ältesten Funde und Abbildungen von Gewichten und Waagen lassen die Serienfertigung in Werkstätten vermuten; aus römischer Zeit gibt es Abbildungen. Auf vielen alten und neuzeitlichen Bildern ist der Wägemeister beim Gebrauch der Waage zu sehen. Noch mehr Abbildungen findet man vom symbolischen Gebrauch der Waage zur Seelenwägung, wobei Götter oder Engel die Waage bedienen.
Zwar hatten einige Gelehrte ihre Mechanikermeister und Werkstätten, aber schon im Mittelalter wurden Waagen serienmäßig in Werkstätten gefertigt. Für hohe Ansprüche, etwa bei der Herstellung der Masseprototypen nach Einführung des metrischen Systems, wurden dort Spezialwaagen gebaut. Die Konstrukteure der Waagen für Lavoisier (1743-1794): Mégnié und Fortin sowie der von Regnault (1810-1878): Deleuil sind bekannt. Der Mechanikus war stets zugleich Chef einer angesehenen Werkstatt und er baute die Waagen nicht alleine. Der Famulus, der den ganzen Versuchsaufbau vorzubereiten hatte und auch die Waage bediente, war ein wichtiger Gehilfe des Wissenschaftlers. Im industriellen Zeitalter entstanden aus feinmechanische Werkstätten schließlich Industriebetriebe.
Seit den Anfängen vor mehr als 5000 Jahren bis in die Neuzeit waren symmetrische Balkenwaagen die empfindlichsten Messinstrumente mit dem größten Messbereich im physikalischen Instrumentarium. Für die verschiedenen Anwendungen wurden unzählige Varianten entwickelt. Der Höhepunkt dieser Entwicklung waren die metrologischen Waagen zu Ende des 19. Jhrh. Zu Erwähnen ist vor allem die Werkstatt von Paul Bunge (1853-1926). Dieser Waagentyp wurde in der Mitte des 20. Jhrh. abgelöst durch die unsymmetrische Balkenwaage mit nur einer Waagschale. Gegen Ende des 19. Jhrh. wurden elektrische Ablesungs- und Kompensationssysteme eingeführt und heute sind hochauflösende Analysenwaagen durchweg mit elektromagnetischer Kompensation ausgerüstet.
Die Federwaage erfand 1678 Robert Hooke (1635-1703). Neigungswaagen und andere Typen wurden von dem Pfarrer Phillip Mathäus Hahn (1739-1790) erfunden. Er fand in der schwäbischen Alb feinmechanische Werkstätten vor die sich unter seinem Einfluss zu einer Waagenindustrie entwickelte. 1957 erfand Günter Sauerbrey die Schwingquarzwaage. Biegekörper mit Dehnungsmessstreifen werden heute zunehmend zur Wägung eingesetzt. Mit schwingenden Federn von Nanometerabmessungen ist es heute möglich die Masse von Agglomeraten aus wenigen Molekülen zu messen. Die neueren Entwicklungen werden in Arbeitsgruppen von hochqualifizierten Fachkräften geleistet. Auch herausragende große Physiker, die sich auf diesem Gebiet betätigen, sind in Arbeitsgruppen mit Kollegen und Hilfskräften eingebunden.